...es gibt immer eine Lösung!


Intelligenz verhält sich proportional zur Erkenntnis der Unwissenheit.
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Hochbegabung

Das Thema 'Hochbegabung' ist viel zu komplex, als dass ich es hier als Laie auch nur annähernd adäquat aufgreifen könnte. Meine Ausführungen sind als Einstieg und zur Anregung gedacht.

Die Frage nach der Hochbegabung taucht häufig im Zusammenhang mit Hochsensibilität auf.
"Hochsensibilität ist eine besondere Form der Hochbegabung" – das war z.B. die Einleitung zu einem TV-Beitrag über Hochsensibilität.
Diese Aussage ist bezogen auf die Begrifflichkeiten schlicht falsch.

Begrifflichkeiten

Immer die Sache mit den Begrifflichkeiten.

E. Stern und A. Neubauer definieren in ihrem Buch "Intelligenz – Große Unterschiede und ihre Folgen" die relevanten Begriffe in etwa wie folgt:

Begriffe
  • Begabung:
    bezieht sich auf unterschiedliche Bereiche und bezeichnet das Potenzial, Leistungen zu erzielen. Es gibt sowohl mathematische, sprachliche und räumliche als auch soziale und künstlerische Begabungen.
  • Talent:
    bezeichnet eine dauerhafte Umwandlung von Begabung in hohe Leistung.
  • Intelligenz:
    bezeichnet eine Begabung im kognitiven Bereich, d.h. sprachlich, visuell-räumlich, rechnerisch, mathematisch oder in Unterkategorien.
  • Kompetenz:
    bezeichnet immer Fähigkeiten, Probleme oder Aufgaben in einem bestimmten Bereich zu lösen und bezieht sich auf konkrete Inhalte. Die Aussage 'Mr. X ist kompetent' ergibt keinen Sinn.
    Kompetenz kann in allen Bereichen definiert werden. Es können kognitive genauso wie soziale oder emotionale Kompetenzen anhand von speziellen Kriterien definiert werden. Kompetenz ist erlern- und trainierbar.

Für das Thema "Hochbegabung" spielen hier nur die Begriffe "Begabung" und "Intelligenz" eine Rolle.

Definition Hochbegabung:

Der Begriff "Hochbegabung" wird als weit über dem Durchschnitt liegendes, intellektuelles Leistungsvermögen definiert.
Das intellektuelle Leistungsvermögen wird anhand von Tests in Form des IQ (Intelligenzquotienten) gemessen.

Auffällig ist dabei, dass man den Begriff "Begabung" als Leistungspotenzial für alle Bereiche verwendet, Hochbegabung aber als Leistung im kognitiven Bereich definiert ist.
Korrekter wäre es, von Hochintelligenz zu sprechen.
Zusätzlich kann man aus einer nicht erbrachten Leistung allein noch nicht auf eine nicht vorliegende Hochbegabung schließen.

Intelligenz

Laut Stern / Neubauer ist das Kernstück der Intelligenz das schlussfolgernde Denken, d.h. neue Informationen aus vorhandenen durch deduktives oder induktives Denken abzuleiten.
Die Herausforderung besteht darin, eingehende Informationen im Arbeitsgedächtnis zu halten und gleichzeitig Wissen aus dem Langzeitgedächtnis abzurufen.

Gemäß Stern / Neubauer:

  • Menschen unterscheiden sich in der Effizienz der Informationsverarbeitung.
  • Intelligenz bezieht sich auf die kognitiven (intellektuellen) Fähigkeiten und ist ein relatives Maß;
    die geistige Leistungsfähigkeit, die in der heutigen Welt eine große Rolle spielt, zeigt sich vor allem in der Konstruktion geistiger Welten mit Hilfen von Symbolsystemen;
    nur wer in ein kulturelles Umfeld mit intelligenten Symbolsystemen geboren wird, kann sein intellektuelles Potenzial entfalten.
  • Intelligenz wird mittels standardisierten IQ-Tests gemessen.
  • Relativ bleibt ein gemessener IQ-Wert etwa ab dem 11. Lebensjahr stabil.
  • Man geht von einer allgemeinen Intelligenz (g-Faktor) aus.
    Es wurde statistisch belegt, dass Menschen, die in einem kognitiven Teilgebiet hohe Leistungen erbringen, diese auch in anderen Gebieten erbringen können, d.h. auf eine gemeinsame, zentrale Ressource zurückgreifen;
    als mögliche Ressource wird die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses angenommen.
  • eine Begabung wird nur dann als Intelligenz bezeichnet, wenn sie - empirisch belegt - bedeutsam positiv mit klassischen IQ-Tests korreliert;
    für Begabung in anderen Bereichen ist die Verwendung 'Intelligenz' wissenschaftlich nicht zulässig.
  • Nature via nurture
    Es stellt sich nicht mehr die Frage 'Gene oder Umwelt' oder 'angeboren oder anerzogen', sondern die erblich bedingte Gehirnstruktur (Frontalhirn) bestimmt die Grenzen, die Umwelt und die Lernmöglichkeiten die Ausgestaltung der Intelligenz;
    dabei spielen Faktoren wie Fleiß, Motivation, Kreativität und Interesse und Selbstdisziplin eine Rolle, sind aber kein Ersatz für Intelligenz.
  • Ein Weniger an Begabung kann in Grenzen durch ein Mehr an Lernen kompensiert werden.
    Die wirklich gute Nachricht: das Gehirn ist bis ins hohe Alter trainier- und veränderbar.

IQ-Test

IQ-Tests sind in Deutschland so kalibriert, dass sie, ausgehend von einer repräsentativen Referenzgruppe (z.B. je Altersgruppe), annähernd eine Normalverteilung mit Mittelwert 100 und einer Standardabweichung von 15 aufweisen.

Aber sind hochsensible Menschen überdurchschnittlich intelligent? Oder sogar hochbegabt?

Lassen wir zunächst einmal Zahlen sprechen:
Als hochbegabt gilt hierzulande, wer in einem standardisierten wissenschaftlichen IQ-Test einen IQ von 130 oder mehr erreicht.

Die Normal- oder Gaußverteilung ist eine der wichtigsten stetigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen und beruht auf dem zentralen Grenzwertsatz.
Die gesamte Fläche, die von der Kurve der Normalverteilung eingeschlossen wird, ist unabhängig von Mittelwert und Standardabweichung, stets 1 (also 100 %).
Mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 ergibt sich folgende (Glocken-)Kurve:

Gauß'sche Glockenkurve

Rein rechnerisch erreichen also etwa 2,3% der Bevölkerung einen IQ von 130 oder mehr.
Man muss kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass 2,3% ≠ 15-20% ist, d.h. also, es können per definitionem nicht alle hochsensiblen Menschen hochbegabt sein.

Es gibt zahlreiche Kritikpunkte an IQ-Tests - hier für mich die Wichtigsten:

  • Vorgabe: Normalverteilung
    IQ-Test werden auf eine angenommene Normalverteilung ausgerichtet, d.h. es wird etwas vorausgesetzt, was eigentlich damit bewiesen werden müsste.
    Aber: IQ-Test sind nicht dazu da, eine Normalverteilung zu beweisen, sondern die Normalverteilung ist das gewählte Maßsystem.
  • Validierung: Schulnoten
    IQ-Test werden anhand von Schulnoten validiert.
    Aber: IQ-Tests sind genau dafür entwickelt worden - als Hilfsmittel zur Vorhersage des geistigen Potenzials bzgl. der weiteren Schullaufbahn.
  • Pauschalisierung:
    Gemessen werden in IQ-Test nur ausgewählte Fähigkeiten, die Aussage erfolgt aber pauschal.
    Aber: eine allgemeine Intelligenz (g-Faktor) gilt mittlerweile als belegt.
  • Testintelligenz
    Durch Training kann ein höheres Ergebnis erzielt werden.
    Aber: Training kann jede Fähigkeit steigern, aber nur bis zur genetisch bedingten Grenze.

Elementar sind die Schlussfolgerungen, die man aus dem jeweiligen Ergebnis zieht.
Schneidet ein Proband in einem IQ-Test überdurchschnittlich gut ab, kann man davon ausgehen, dass dieser überdurchschnittlich intelligent ist.
Professionelle IQ-Tests beziehen aber auch andere Faktoten wie Testsituation, Vorbildung, Sozialisierung und weitere Persönlichkeitsmerkmale mit ein. Aus einer nicht erbrachten Leistung kann man nicht zwingend auf nicht vorhandenes Potenzial schließen.

IQ-Tests sind ein nützliches Hilfsmittel, um eine überdurchschnittliche Intelligenz oder Hochbegabung im kognitiven Bereich zu erkennen.
Ein Werkzeug ist nicht schlecht, nur weil man es falsch bedient.

Es gibt zahlreiche, kostenlose IQ-Tests im Internet, die zur Übung und für den ersten Eindruck sehr nützlich sein können. Sie repräsentieren aber nicht offiziell anerkannte, aktuelle IQ-Tests. Wer seinen IQ verlässlich testen lassen will, sollte sich an Mensa, dem internationalen Verein für Hochbegabung, oder an einen auf Hochbegabung spezialisierten Psychologen wenden.

Abwertung

Intelligenz ist ein sehr begehrtes Persönlichkeitsmerkmal: jeder will es haben, die wenigsten wissen, wovon sie reden.

Spricht jemand von seiner eigenen, überdurchschnittlichen Intelligenz, erfolgt häufig eine abwertende Reaktion.
Jeder Mensch kann schlussfolgernd denken und ist damit intelligent, manche können es im kognitiven Bereich nur schneller und besser. Daraus zu schließen, alle anderen seien dumm, ist dumm. Überdurchschnittlich intelligente Menschen können komplexe Aufgaben besser lösen, scheitern aber durchaus bei einfachen Aufgaben.

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Warum haben viele – mich bis vor kurzem noch eingeschlossen – von hochbegabten Menschen gleich ein Bild des Überfliegers, des Genies im Kopf?
Warum begegnet man ihnen so häufig mit Neid oder gar Ablehnung?
Ist es das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit oder die Abwertung von Unerreichbarem?

Stellen Sie sich eine Welt vor, die ausschließlich nur aus Hochbegabten, Ferraris oder Mathematikern besteht – brrr – was für eine schreckliche Vorstellung von einer eintönigen, nicht funktionierenden Welt.

Hochsensibilität ⇔ Intelligenz

Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für einen Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und überdurchschnittlicher Intelligenz.
Es gibt aber auch keinen dagegen.

Nimmt man die Persönlichkeitsmerkmale, die Hochbegabten zugeschrieben werden, ergeben sich auffällige Übereinstimmungen (übernommen von E. Reichardt: Hochsensitiv-Hochbegabt-Synästhet )

  • Gefühle des "Andersseins"
  • Hohes Denk- und Sprechtempo; ggf. sprunghaftes, assoziatives Denken (andere können oft nicht folgen)
  • Sehr gutes sprachliches Ausdrucksvermögen, großer Wortschatz, ggf. gewählte Ausdrucksweise
  • Gute Abstraktionsfähigkeit und gutes logisches Denkvermögen
  • Ausgiebiges Reflektieren
  • Freude an kontroversen Diskussionen; kritisches Hinterfragen von Meinungen; Fähigkeit zum Perspektivwechsel
  • Freiwillige Beschäftigung mit anspruchsvollen Themen
  • Individualismus und Nonkonformismus; ungewöhnliche Standpunkte und Anschauungen
  • Sinn für Ironie und absurden Humor
  • Kreative, künstlerische Fähigkeiten
  • Ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden
  • Erhöhte emotionale Sensibilität
  • Ungeduld, Langeweile und Konzentrationsmängel bei monotonen Aufgaben
  • Überhöhte Selbstansprüche, Selbstzweifel, Selbstkritik, Perfektionismus
  • Besonderheiten in der Sinneswahrnehmung (Licht-, Lärm-, Berührungs-, Geruchsempfindlichkeit)

Folgt man den Ausführungen von Stern / Neubauer oder E. Reichardt, unterscheiden sich überdurchschnittlich Intelligente und Hochbegabte nicht sonderlich in ihren Persönlichkeitsmerkmalen.
Daraus lässt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit ableiten, dass überdurchschnittlich Intelligente und Hochbegabte hochsensibel sind, aber nicht umgekehrt.


Begriffe

Um eine zuverlässige Aussage über den Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und Intelligenz zu treffen, fehlen valide Tests zur Hochsensibilität und damit kombinierte IQ-Tests.

Ebenso fehlen Tests, mit denen man andere Begabungen messen und damit einen Zusammenhang zur allgemeinen Intelligenz herstellen kann.

Ich persönlich glaube, dass sich aus beiden Ansätzen kein eindeutiger Zusammenhang ergeben wird.

Aber: es gibt (zum Glück) noch viel zu forschen.



Relevanz

Bleibt die Frage, für wen das Thema relevant ist.

In jedem Fall sollte es für alle von enormer Wichtigkeit sein, die Entscheidungen im Bildungssystem treffen - angefangen bei Politikern, die die Rahmenbedingungen festlegen bis hin zum Grundschullehrer, der Empfehlungen für weiterführende Schulen ausspricht.
Es sollte Wert auf ein qualitativ hochwertiges Ausbildungsangebot gelegt werden, um jeden Schüler adäquat zu fördern.
Nicht jeder gehört aufs Gymnasium oder an die Hochschule.

Inwieweit ein IQ-Test für den Einzelnen relevant ist, muss jeder selbst entscheiden.

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Fazit

Damit aus Begabung Leistung wird, ist ein adäquates, qualitativ hochwertiges Bildungssystem erforderlich, dass jeden einzelnen seiner Begabungen entsprechend fördert.

Ziel jedes Einzelnen sollte es sein, ein Leistungsniveau zu erreichen, das ihm selbst Zufriedenheit beschert.

Warum fördern wir nicht die Begabung jedes Individuums, schätzen das Talent, nutzen und begrüßen die Leistungen jedes einzelnen?


Zum Abschluss:

Comic

Quellenangaben / Links: