...es gibt immer eine Lösung!


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Hochsensibilität und Coaching

Mit steigendem Bekanntheitsgrad des Themas "Hochsensibilität (HS)" nimmt offensichtlich auch die Zahl der Beratungsangebote für Hochsensible proportional zu.

Warum ist das so?

Es ist das simple Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.


6:00 Uhr morgens, der Wecker reißt Sie – Ihrem Biorhythmus zum Trotz – aus dem Schlaf.
Noch vor dem ersten Kaffee sind Sie in Gedanken schon bei dem ersten Meeting dieses Tages, checken kurz Ihre Mails und alles, was Ihr Smartphone sonst noch so hergibt.
Duschen im Galopp, Kaffee zwischen Tür und Angel, Verkehr in der Rush Hour und schon erscheinen Sie bereits gestresst im Büro.

Das Telefon und die Kollegen wechseln sich darin ab, Ihre aktuellen Aufgaben zu unterbrechen und zu allem Übel hat es eine Kollegin heute auch noch besonders gut mit ihrem Parfum gemeint.
In der Mittagspause schließen Sie sich den anderen an, weil Sie nicht als Einzelgänger oder Spaßbremse erscheinen wollen, ertragen die lauten Gespräche um Nichts, die Geräusche und Gerüche in einer typischen Kantine.

Zurück am Platz nerven Sie die Geräusche Ihres Gegenübers mittlerweile derart, dass Sie sich eine Pumpgun wünschen und ihm insgeheim die Schuld dafür geben, dass Sie mit Ihrer Arbeit nicht rechtzeitig fertig werden.
Der Druck steigt und Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, was nicht gerade Ihrem Selbstwertgefühl zuträglich ist.

Abends quälen Sie sich noch zum Yoga, weil man ja noch etwas für die körperliche Fitness tun muss, nachdem Sie noch kurz durch den Supermarkt gehastet sind.

Endlich zuhause, checken Sie erneut Ihr Smartphone, ob Sie vielleicht etwas Wichtiges verpasst haben oder ohne Sie die Welt untergeht und siehe da, Ihre Freundin wartet bereits kurz vor Panik auf ein Lebenszeichen von Ihnen. Im Gegensatz zu Ihnen ist sie noch voller Elan und in Plauderlaune und Sie wollen dem in Nichts nachstehen, so dass Sie Ihrer Freundin noch zwei Stunden Ihr Ohr leihen.


Puh! Kennen Sie das oder sind Sie schon vom Lesen gestresst? Untypisch? Wirklich?

Höher, schneller, weiter, vernetzter, allzeit bereit und immer präsent – das ist die heutige Welt.

Diese Entwicklung beeinflusst alle Menschen (nicht nur Hochsensible), Begriffe wie 'Work-Life-Balance' und 'Quality-Time' gewinnen stetig an Bedeutung und Wellness-Angebote, Yoga- oder Meditationskurse erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.

Hochsensible werden durch diese immense Flut an Reizen und Anforderungen aufgrund ihrer höheren Reizoffenheit noch stärker beeinflusst und einmal auf das Thema aufmerksam geworden, steigt der Wunsch nach Unterstützung und Veränderung.


Brauchen Hochsensible wirklich ein Coaching?

Den meisten der über 12 Mio. hochsensiblen Menschen (HSM) allein in Deutschland gelingt es durchaus ziemlich gut, auf sich zu achten und ihr Leben zu leben, so dass sie sich nicht einmal für das Thema interessieren, geschweige denn ein Coaching brauchen.


Für Hochsensible, die nicht gelernt haben, auf ihre Bedürfnisse zu achten, die sich mit anderen vergleichen, die sich bisher falsch in der Welt fühlten oder gar psychische Probleme haben, kann es sicher hilfreich sein, ein Coaching in Anspruch zu nehmen.

Für viele ist es aber ausreichend, wenn sie sich intensiv mit sich und dem Thema auseinandersetzen. Es gibt inzwischen zahlreiche Literatur, Gruppen in sozialen Netzwerken oder lokale Treffen, um seinem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Ein Coach kann diese Entwicklung unterstützen und beschleunigen.

Handelt es sich allerdings um eine psychische Erkrankung, sollte in jedem Fall ein professioneller Therapeut (Psychologe, Psychiater) aufgesucht werden.


Was ist überhaupt ein HS-Coach?

Ein HS-Coach in diesem Sinne ist ein Berater, der Hochsensible ein Stück auf ihrem Weg begleitet und der ihre Wünsche und Bedürfnisse nach persönlicher Weiterentwicklung in den Fokus stellt.

Vieles von dem hier Geschriebenen trifft auch allgemein auf ein Coaching zu, aber das Coaching eines Hochsensiblen stellt den Coach vor etwas andere Herausforderungen.
Hochsensible nehmen mehr wahr, empfinden intensiver, sind schneller überreizt, denken komplexer und stellen vieles auf den Prüfstand.

Der Coach selbst muss nicht zwingend hochsensibel sein, sollte sich aber mit der Thematik auskennen.
Ich persönlich würde aber immer einen Coach bevorzugen, der selbst hochsensibel ist, weil die Hochsensibilität alles durchzieht und in einem anderen Licht erscheinen lässt, was ein nicht-hochsensibler Coach kaum nachempfinden kann.
Andersherum kann es aber auch gerade hilfreich sein, die Sichtweise eines nicht-hochsensiblen Coaches kennenzulernen.

Ein Coach ist immer auch ein Dienstleister, der Ihnen ein Angebot macht, was Sie annehmen oder ablehnen können. Bei Annahme gehen Sie ein Geschäftsverhältnis ein. Selbst kostenlose Angebote beinhalten immer ein Ziel, das im Sinne des Anbieters ist.

Natürlich gibt es sowohl weibliche als auch männliche Coaches. Ich verwende hier der Einfachheit halber die männliche Form.


Wie finde ich einen guten Coach?

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, was jetzt sicher keine befriedigende Antwort für Sie ist.
Was für Sie ein guter und passender Coach ist, müssen Sie sich selbst beantworten, denn in erster Linie spielt die Chemie zwischen Ihnen und Ihrem Coach eine Rolle.
Ob ein Coach Ihnen z.B. gegenüber empathisch ist, können nur Sie selbst herausfinden.
Selbstverständlichkeiten wie die Schweigepflicht und ein respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander setze ich voraus.

Da der Begriff 'Coach' nicht geschützt ist und das Thema HS gerade einen Aufschwung erfährt, möchte ich Ihnen einen kleinen Baukasten anbieten, quasi einen Fischertechnik-Spezialkasten, aus dem Sie sich die für Sie passenden Bausteine heraussuchen und mit eigenen Kriterien ergänzen können.
Nicht jeder Baustein ist für jeden geeignet oder attraktiv.

Vorbereitung

Lesen Sie, recherchieren Sie, beschäftigen Sie sich mit dem Thema und werden Sie zum Experten für sich selbst.
Fangen Sie bei E. Aron an und arbeiten Sie sich bei Bedarf weiter vor.

Es gibt mittlerweile ausreichend Bücher und kostenlose Websites, die Ihnen einen guten Einstieg liefern. Sie müssen nicht Psychologie studieren, um sich selbst besser kennen zu lernen. Hören Sie sich und Ihren Gefühlen einfach zu und benutzen Sie Ihren Verstand und Ihr Wissen, um diese möglichst neutral zu interpretieren.

Ihr Wissen ist der Grundstein für die Macht über Sie selbst.

Wo finde ich einen Coach?

Entscheiden Sie für sich zunächst, was für Sie überhaupt in Frage kommt.
Soll es ein persönliches Coaching sein oder ziehen Sie vielleicht sogar eher eine Beratung per Telefon oder via Skype in Betracht, wie es einige Coaches anbieten?
Recherchieren Sie im Internet und in den sozialen Medien wie FB-Gruppen o. ä..
Es gibt auf der Website des IFHS (Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität) z. B. eine Liste mit ▶ Kontakten vor Ort.

Haben Sie einen potenziellen Coach gefunden, schauen Sie sich seine Homepage an.
Welche Ausbildung hat er, wie viel Wissen gibt er bereits preis, welchen Eindruck gewinnen Sie daraus, gibt es bereits Informationen über Modalitäten wie Preise, Sitzungsdauer, o. ä., die Ihnen bei Ihrer Entscheidung helfen?
Welche Begriffe verwendet er, wie ist sein Selbstverständnis, was verspricht er Ihnen schon im Vorfeld (vgl. Sie hierzu die Ausführungen in der Checkliste)?

Vor der ersten Sitzung

Erstellen Sie sich eine Checkliste mit allen Fragen, die Ihnen wichtig sind.
Haben Sie keine Scheu davor, dass der Coach dieses eventuell als Test auffassen könnte. Im Zweifelsfall sprechen Sie Ihre Erwartungen, Befürchtungen oder Unsicherheit an.

Ein guter Coach wird Ihre Vorbereitung zu schätzen wissen, weil er daraus schon eine Menge über Ihre Motivation und Ihren Wissensstand ableiten kann, was für das weitere Coaching nicht unerheblich ist.


Checkliste

Die folgende Checkliste kann Ihnen dabei helfen, einen klareren Blick für Ihr Coaching zu bekommen.
Es ist keine standardisierte Checkliste, sondern ein simples Hilfsangebot, dass Sie nach Ihrem Gutdünken für die eigene Checkliste nutzen und erweitern können.

Rahmenbedingungen

Ein guter Coach gibt die Rahmenbedingungen klar vor.
Das gilt nicht nur für den Ort und den Preis, sondern auch für die Dauer einer Sitzung. Es ist Aufgabe des Coaches (nicht Ihre), auf die Einhaltung dieser Dauer zu achten.
Geregelt werden sollte im Vorfeld auch, wie starr das Sitzungsende festgelegt ist, was bei Überziehen passiert, aber auch, welche Modalitäten für Emails oder Telefonanrufe gelten (sind diese überhaupt erwünscht, etc.).
Es sollten ebenfalls Vereinbarungen über die Dauer und das vorzeitige Beenden des Coachings getroffen werden.

Hierbei geht es nicht um ein starres Regelwerk um der Regel willen, sondern darum, Ihnen einen gewissen Rahmen zu geben, in dem Sie sich sicher bewegen können und dürfen.

Begrifflichkeiten

Finden Sie heraus, wie gut sich der Coach mit den Basics auskennt. Er sollte mindestens die Basisdefinition nach E. Aron aus dem Effeff beherrschen.
Relevante Stichwörter sind hier:

  • Hochsensibilität = Hochsensitivität
  • SPS = Sensory processing sensitivity
  • Verhaltenshemm- vs. Verhaltensaktivierungssystem (BIS/BAS)
  • Vier gemeinsam auftretende Kriterien für HS
    • Gründliche Informationsverarbeitung
    • Übererregbarkeit
    • Emotionale Intensität
    • Sensorische Empfindlichkeit

Achten Sie insbesondere darauf, welche Formulierungen er verwendet.
HS oder gar HSP (highly sensitive person) hat man nicht, sondern ist man. Es gibt keine Diagnose für HS, da es sich nicht um eine Krankheit handelt. Der Begriff 'Hypersensibilität' stammt aus der Psychologie und deutet eher auf eine übersteigerte (krankhafte) Empfindlichkeit hin als auf eine Hochsensibilität im Sinne von Aron.

Es gibt Coaches (und Autoren), die abweichende Begriffe verwenden. Manche unterscheiden zwischen Hochsensibilität und Hochsensitivität oder zwischen emotionaler, sensorischer und rationaler Hochsensibilität. Folgt man Aron, ist diese Unterscheidung unsinnig, da sich HS auf das Reizverarbeitungssystem bezieht, von dem wir alle in der Regel nur eins besitzen.
Man geht davon aus, dass die Reize vom Thalamus schwächer gefiltert werden und da der Thalamus nicht weiß, welcher Reiz gerade vor der Tür steht, wird er auch nicht differenziert filtern können.
Wenn Sie weniger Wert auf die ursprüngliche Definition legen, sollte der Coach die Abweichungen aber zumindest gut begründen, so dass Sie entscheiden können, ob es für Sie stimmig ist.

Umgebung

Ich behaupte, jeder Coach möchte das Umfeld für seine Klienten so angenehm wie möglich gestalten. Ein guter Coach wird aber vielleicht eher erkennen und verstehen, was angenehm für Sie bedeutet.
Natürlich sind dem Grenzen gesetzt und es geht hierbei um Kleinigkeiten wie die Heizung etwas höher stellen, ein Fenster öffnen, eine Lampe wegdrehen o. ä..

Nun ist kein Coach ein Hellseher, so dass Sie ruhig dazu beitragen und zumindest andeuten können, was Sie stört. Achten Sie auf die Reaktion des Coaches: Kommt er Ihnen soweit wie möglich entgegen, versteht er Ihr Bedürfnis überhaupt oder ignoriert er das eher?

Abwertung / Aufwertung

Achten Sie darauf, ob der Coach andere ab- oder aufwertet. Es kommt durchaus vor, dass Coaches Nicht-HSM pauschal abwerten (einfach gestrickt, unsensibel,...) oder HSM pauschal aufwerten.

Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen und wie es z. B. unsensible HSM gibt, so gibt es auch sehr sensible Nicht-HSM.
Auch wenn eine Aufwertung Ihrerseits bei gleichzeitiger Abwertung Anderer vielleicht kurzfristig Ihr Selbstwertgefühl stärkt, so ist es weder zulässig noch nachhaltig und es wird Ihnen wenig nützen. Nach dem Coaching sind Sie genau dieser Vielfalt wieder ausgesetzt. Da hilft es Ihnen nicht, wenn Sie die Schubladen zu klein gewählt haben.

Pauschalisierungen

Finden Sie heraus, ob der Coach unzulässige Pauschalisierungen verwendet in der Art
alle HSM sind

  • verletzlich
  • medial
  • hochbegabt
  • spirituell
  • ...

Das lässt schon einen Rückschluss darüber zu, welche Schwerpunkte und Sichtweisen zu erwarten sind. Ist der Coach eher in der esoterischen Ecke angesiedelt, hat er eine sehr konkrete Vorstellung, was einen HSM ausmacht, etc..
Wir alle haben ein sogenanntes "Schubladen denken", was im Alltag sehr hilfreich und notwendig ist.
Hochsensibilität ist eine weitere hilfreiche Schublade, solange man nicht zu viele Labels auf die Schublade klebt.
HSM teilen sich die Reizoffenheit, sind aber so verschieden wie die Blumen auf einer Blumenwiese.

Ich kenne Ihr Problem und habe die Lösung

Es gibt für jedes Problem eine Lösung und häufig beinhaltet das Problem die Lösung bereits.
Wenn aber ein Coach bereits die Probleme inklusive der Lösungen kennt, bevor er Sie überhaupt kennengelernt hat, ist Vorsicht geboten. Spätestens wenn ein Coach Versprechungen macht, was Sie mit seinem eigenen Lösungsweg erreichen können (mehr Glück, Zufriedenheit, Selbstbewusstsein, etc.), vergessen Sie es, so verlockend es auch klingen mag.

Lassen Sie sich kein Korsett von der Stange verpassen, das Sie auf Dauer nur erdrücken wird.
Jedes Problem ist individuell und jeder Lösungsweg ebenso. Ein Coach kann Ihren Weg gar nicht kennen, sondern Ihnen nur Tipps geben, wie Sie Ihren Weg selbst finden können.

Selbstverständnis

Einen ganz weiten Bogen würde ich um Coaches machen, die sich selbst oder ihre Arbeit als Geschenk betrachten.
Ein Geschenk verpflichtet zu Dankbarkeit und erwartet Annahme.

Kein Coach bietet seine Dienste ohne eigene Interessen an (und das ist auch vollkommen in Ordnung). Nicht immer geht es (direkt) um finanzielle Interessen. Angebote können auch als Appetizer oder dem Ego des Coaches dienen.
Niemals sollte Ihnen ein schlechtes Gefühl vermittelt werden, wenn Sie das Angebot kritisch hinterfragen oder ablehnen ("dann leiden Sie doch weiter, Sie sind noch nicht soweit,...").

Hier wird zum Teil mit den Ängsten und Sehnsüchten potenzieller Klienten gespielt, was ich in höchstem Maße verurteile.

Augenhöhe

Sehr häufig liest man, dass sich Coach und Klient auf Augenhöhe begegnen.
Ich halte das für einen Irrglauben und utopischen Wunsch.
Allein durch die Konstellation ergibt sich immer ein Art Machtgefälle. Dadurch, dass Sie sich öffnen und ihm anvertrauen, werden Sie immer eine stärkere Bindung eingehen als umgekehrt.
Sie fokussieren sich auf den Coach (in der Regel haben Sie nur einen), während sich der Coach mit vielen, verschiedenen Klienten beschäftigt. Ohne eine gewisse Distanz wird er seinen Job nicht ausüben können. Er ist nicht ihr Freund, der ausschließlich für Sie auf der Welt ist (auch wenn Sie das gerne hätten).

Aber ein guter Coach nimmt Sie in all Ihren Ängsten, Sorgen und Gedanken ernst, stellt Sie während einer Sitzung allein in den Fokus.
Ein Coach mit Sternchen weiß, was bereits besprochen wurde, schließt durch gezielte Fragen (nach Aufgaben, Ereignissen, o. ä.) an vorangehende Gespräche an und gibt Ihnen das Gefühl, als Klient mehr als eine Karteikarte zu sein.

Verantwortungsbewusstsein

Jeder Job bringt eine gewisse Verantwortung mit sich. Auch ein Coach hat eine Verantwortung für seine Arbeit und damit seinen Klienten gegenüber.
Er erlangt eine gewisse Macht über seine Klienten und kann sie damit in besonderem Maße beeinflussen.
Ein guter Coach geht verantwortungsvoll damit um, was nicht bedeutet, dass er die Verantwortung für Sie übernimmt. Dafür sind allein Sie verantwortlich.
Nehmen Sie Abstand, wenn er Sie in eine Richtung beeinflussen will, die für Sie nicht stimmig ist.

Kritikfähigkeit

Ein guter Coach ist kritikfähig bzgl. seiner Arbeit mit Ihnen als Klient.
Kritikfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass er Ihre Kritik ernst nimmt und prüft, solange es Ihr persönliches Coaching betrifft. Darüber hinaus muss er von Ihnen keine Kritik annehmen.
Wenn kein Fortschritt im Coaching zu erkennen ist, ist es Aufgabe des Coaches, dieses anzusprechen und klar zu formulieren, dass seine Ideen und Methoden erschöpft sind, so dass Sie gemeinsam nach einer Lösung suchen können.
Er sollte nicht Ihnen das Gefühl geben, versagt zu haben.
Die letzte durchaus legitime Option ist eine (vorzeitige) Beendigung des Coachings.

Druck

Ein Coach, der mit Druck arbeitet, ist kein guter Coach.
Wenn Sie sich unter Druck gesetzt fühlen, sprechen Sie es an, aber unterscheiden Sie zwischen echtem Druck und einem gelegentlichen Motivationsschubser.
Druck bedeutet zum Beispiel, dass er Sie mit anderen vergleicht, bei denen seine Methoden funktioniert haben und Sie dadurch abwertet.
Druck bedeutet nicht unbedingt, dass er Ihnen bestimmte Aufgaben mit einem Zeitlimit gibt.
Aber auch hier haben Sie die Wahl: müssen müssen Sie gar nichts. Wenn Ihnen die Aufgaben nicht zusagen, sprechen Sie es an. Dann ist es vielleicht die bessere Alternative, das Coaching zu beenden.

Tools und Methoden

Je breiter ein Coach bzgl. Tools und Methoden aufgestellt ist, umso besser kann er Ihnen etwas Passendes empfehlen und umso mehr können Sie ausprobieren.
Daraus folgt aber noch nicht, dass ein auf ein Tool oder Verfahren spezialisierter Coach ein schlechter Coach ist, sofern er aus dieser Ausrichtung kein Geheimnis macht.
Wenn es Sie anspricht, probieren Sie es aus, aber wenn es nicht funktioniert, schließen Sie nicht daraus, dass Sie unfähig sind, sondern dann passt es eben nicht zu Ihnen.
Sollte der Coach Ihnen ein anderes Gefühl vermitteln, hat er seinen Beruf verfehlt.

Grundsätzlich sind Tools und Verfahren Hilfsmittel, um bestimmte Verhaltensweisen abzulegen oder anzutrainieren. Das kann hilfreich sein, aber nicht immer zum gewünschten Ziel führen.

Ein Beispiel: "Nein-Sagen"
Ein Coach kann Ihnen Verhaltensweisen zeigen, wie Sie das "Nein-Sagen" trainieren können, aber mitunter liegt das Problem eher in Ihrem schlechten Gewissen, weil Sie mit den anderen scheinbar nicht mithalten können oder andere nicht verletzen wollen.
Durch das Training werden Sie zwar häufiger "Nein" sagen, aber es vielleicht weiterhin mit schlechtem Gewissen tun.
Ein guter Coach wird Ihnen erklären, warum Sie "nicht mithalten" können und Ihnen verdeutlichen, dass das nichts mit Schwäche zu tun.
In vielen Fällen verschwindet bereits durch dieses Verständnis das schlechte Gewissen und Sie brauchen gar keine Methoden mehr, die Ihnen das "Nein-Sagen" erleichtern. Plötzlich funktioniert das ganz von selbst.

Vorverurteilung

Da das Thema "Hochsensibilität" bisher immer noch wenig verbreitet ist, haben einige HSM bereits Erfahrungen mit zahlreichen Diagnosen gesammelt.
Ein guter Coach macht sich zunächst einmal ein eigenes, gründliches Bild und verurteilt niemanden aufgrund seiner Vorerfahrungen und bereits gestellten Diagnosen. Zu häufig handelt es sich dabei um Fehldiagnosen.

Psychische Erkrankungen

Ich halte es für die wichtigste Pflicht eines Coaches, sich mit den verschiedenen psychischen Krankheitsbildern zumindest rudimentär vertraut zu machen.
Ein guter Coach kennt die gängigen Diagnosen im Umfeld von HSM und die sich überschneidenden Kriterien. Ein Coaching kann niemals eine Therapie ersetzen, wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt.
Wenn es sich nicht gerade um eine offensichtliche psychische Erkrankung handelt (wie immer man das definieren mag), würde ich aber alle sich überschneidenden Symptome erst einmal der HS zuordnen und schauen, was dann noch übrig bleibt (nämlich häufig nichts mehr).


Abgrenzung zu Therapie

In diesem Artikel geht es nicht um Therapien oder psychische Erkrankungen, wobei vieles durchaus auch auf einen Therapeuten übertragen werden kann.
Wesentlicher Unterschied zwischen einem Coaching und einer Therapie ist – neben der Ausbildung des Therapeuten –, dass eine Therapie im Gegensatz zu einem Coaching in der Regel von den Krankenkassen übernommen wird.
Damit unterliegt der Therapeut den Vorgaben der Krankenkasse, ist zu einer Diagnose nach Schema F (ICD, etc.), zu Protokollen und Fortschrittsberichten verpflichtet.
Natürlich beeinflusst das die Herangehensweise eines Therapeuten, denn während ein Coach sich ganz auf Ihre individuellen Bedürfnisse einstellen und von einer psychisch gesunden Persönlichkeit ausgehen kann, muss der Therapeut die pathologische Sicht in den Vordergrund stellen. Er muss zwingend eine Diagnose stellen und wird (bei jedem) auch eine finden.


Das Wichtigste zum Schluss: Ihr Anteil

Offenheit und Bereitschaft

Wenn Sie einen Coach (oder auch einen Therapeuten, Berater oder Freund) aufsuchen, bedenken Sie immer, dass Ihnen ein Mensch und keine Maschine gegenüber sitzt.
Es gibt zwar mittlerweile auch erste Computerprogramme, die einen Therapeuten simulieren, aber wer will das schon?
Ein Coach ist in erster Linie immer ein Mensch mit eigenen Erfahrungen, Sichtweisen, Überzeugungen und Verfahren. Je flexibler und breit gefächerter diese sind, desto besser ist der Coach aufgestellt.

Steigen Sie nicht in den Ring und betrachten Ihr Gegenüber misstrauisch als Feind, denn in der Regel ist es immer sein Ziel, Ihnen zu helfen. Er kann Ihnen nur seine Methoden anbieten, wählen und entscheiden müssen Sie selbst.
Begegnen Sie ihm offen und legen Sie nicht jedes Wort auf Ihre geliebte Goldwaage.

Es ist wie bei einer neuen Hose: Ob Sie Ihnen passt und Sie sich darin wohlfühlen, entscheiden Sie.
Wenn die Hose nicht (zu Ihnen) passt, liegt das weder an der Hose noch am Verkäufer noch an Ihnen: Dann passt es eben nicht zusammen.
Lassen Sie sich Zeit, üben Sie sich in Geduld, probieren Sie so viele Hosen an wie nötig.

Sicherheit

Wenn Sie sich auf ein Coaching einlassen, eine Bindung eingehen und Zeit und Gefühle investieren, werden Sie sich eine gewisse Sicherheit bzgl. der Dauer des Coachings wünschen.
Aber eine absolute Gewissheit oder Garantie gibt es nicht, selbst wenn am Anfang eine feste Dauer vereinbart wurde.
Geben Sie dem Coaching auch in schwierigen Phasen eine Chance, aber halten Sie nicht auf Biegen und Brechen daran fest. Wenn es nicht passt, dann passt es nicht.
Wenn Sie sich nur auf Dinge einlassen, um dem Coach einen Gefallen zu tun oder damit Sie nicht Gefahr laufen, dass Ihr Coach das Coaching beendet, bringt es Ihnen nichts.

Auch für ein Coaching gilt:
Love it, change it or leave it.

Eigene Ziele

Eine letzte große Herausforderung für Sie:
Überlegen Sie sich vorher, was Sie sich von einem Coaching erhoffen.
Möchten Sie Hilfe zur Veränderung oder geht es eher um das Verständnis und die Bestätigung, dass Ihnen Ihre lieb gewonnene schwarze Nietenhose hervorragend steht?

Ein Coach wird Ihnen zuhören und Ihnen Verständnis entgegenbringen, aber es ist sein Job, Ihnen weitere Hosen anzubieten. Sie müssen nicht gleich die erstbeste pinke Glitzerhose nehmen oder Ihren gesamten Kleiderschrank austauschen, aber bereit sein, diesen um neue Stücke zu erweitern und alte gehen zu lassen.
Und irgendwann ist es irrelevant, was sie tragen: Dann zeigen und fühlen Sie sich auch 'nackt' so wohl, wie Sie sind.
Reines Bestätigungscoaching ist für den Coach frustrierend und bringt auch Sie letztendlich nicht weiter. Wenn es Ihnen "nur" um einen verständnisvollen Zuhörer geht, ist das völlig in Ordnung, nur ist dann ein Coaching vielleicht nicht das Richtige für Sie.
Oder Sie sind bereits weit genug und haben eigentlich gar kein Coaching (mehr) nötig, sondern nur hin und wieder etwas Seelenmassage, die Ihnen auch der richtige Freund bieten kann.


Fazit

Es gibt auf dem Markt die unterschiedlichsten Angebote im Bereich (HS-)Coaching und wie überall gibt es auch hier ein paar schwarze Schafe.
Sie können aber eine ganze Menge dafür tun, dass Sie von schlechten Erfahrungen verschont bleiben.
Gehen Sie es an, entscheiden Sie, ob überhaupt ein Coaching nötig ist und übernehmen Sie Ihren Teil der Verantwortung: Es ist Ihr Leben.

Literaturempfehlung

  • E. Aron: Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen (ISBN 978-3636062468)
  • E. Reichardt: Hochsensibel - Wie Sie Ihre Stärken erkennen und Ihr wirkliches Potenzial entfalten: Mit umfangreichem Selbsttest (ISBN: 978-3424152937)
  • E. Aron: Hochsensible Menschen in der Psychotherapie (ISBN 978-3955710224)
  • U. Hensel: Hochsensible Menschen im Coaching (ISBN 978-3955714161)